Wabbelige Kopfhörer und stinkende Kleider?
Negative Meinungen zu einem Produkt verbreiten sich schnell: Unter anderem, weil – wie in dem Whitepaper „Designing for the User Experience“ zu lesen ist – negative Erfahrungen fünfmal öfter weitererzählt werden als positive Produkterfahrungen. Zudem eignen sich die sozialen Medien ideal für die Verbreitung dieser negativen Meldungen, so dass sich Neuigkeiten über Designfehler oder Defekte sehr schnell verbreiten.
„Wenn ich einen Kopfhörer kaufe und der Klang ist hervorragend, aber der Tragekomfort ist schlecht, die Schalen sind zu klein und die Polster zu wabbelig – dann werde ich keinen positiven zweiten Moment der Wahrheit haben“, sagt Stuart Karten, Gründer und Geschäftsführer von Karten Design.
Das gleiche gilt für ein Waschmittel, das man wegen der todschicken Verpackung gekauft hat: Wenn die Kleidung nach dem Waschen nicht sauber riecht, wird man es wahrscheinlich kein zweites Mal kaufen. Dieser zweite Moment der Wahrheit (Second Moment of Truth, SMOT) basiert sehr oft auf der Benutzererfahrung, die entsteht, wenn der Käufer das Produkt tatsächlich nutzt. Da immer mehr Produkte digital werden, geht es bei der Erfahrung sehr oft um eine digitale Benutzerschnittstelle und wie einfach und intuitiv diese ist. Karten erläutert:
„Allgemein gesprochen findet man im Bereich der Consumerelektronik derzeit mehrere parallele Trends: Einer davon ist, dass Produkte immer mehr zu viereckigen Schachteln mit einer Bedienoberfläche werden. Die Attraktivität, der Reiz und die Verbindung bewegen sich in die digitale Sphäre. Das ist eine große Herausforderung nicht nur für den allgemeinen Formfaktor auf dem ersten Level, sondern auch für das zweite Level der digitalen Bindung.“
Bei der Entwicklung von High-Tech-Consumerelektronik stellen sich weitere Herausforderungen: „High-Tech bedeutet üblicherweise, dass die Technologie sehr neu ist – das bedeutet, dass die Technologie sich, während man das Produkt designt, noch weiterentwickelt“, erläutert Rob Brady, CEO und Design Director bei ROBRADY, einem Studio, das sich auf Consumer-, Industrie-, Schifffahrts- und Medizinprodukte fokussiert hat.
Brady und Karten sind sich einig, dass es für die Entwicklung dieser zweiten Stufe einer anwenderzentrierten Herangehensweise bedarf. Man muss Zeit mit der Zielgruppe verbringen, um deren Ansprüche besser erfüllen und vorausahnen zu können. Bei Produkten für den Endverbraucher bedeutet das, die Beweggründe hinter dem Verlangen nach diesem Produkt und die Motivation für ihre Kaufentscheidungen zu verstehen. „Die Menschen treffen eine bewusste Entscheidung, dass sie einen neuen Kopfhörer oder einen Laptop kaufen möchten“, sagt Karten, „sie möchten definieren, wer sie sind und welche Person sie sein möchten.“
Entwicklung mit einem beteiligenden Ansatz bedeutet oft, der Fokusgruppe eine ganze Reihe von virtuellen Prototypen zu präsentieren, die Bedienung zu simulieren und realistische Renderings anzubieten, die dann weiterentwickelt werden können, schon weit bevor der erste physikalische 3D-Druck-Prototyp entsteht. Wenn die Grenzen des virtuellen Prototypen erreicht sind, lassen sich erste Produkte in die Hand der Fokusgruppe geben. So wie die Produkte digital werden, so tun dies auch die Zielgruppen. Firmen wie Dassault Systèmes arbeiten an Lösungen, die den Produktentstehungsprozess virtualisieren, von der ersten Idee bis hin zu realen Tests in einer Verkaufs- oder Arbeitsumgebung.
„Man baut ein Modell und testet es. Man baut einen Alpha-Prototypen und testet ihn wieder, dann folgt derselbe Vorgang mit der Beta. Man geht schnell und früh in Prototypen“, sagt Brady. „Am Ende des Tages geht es um Menschen, die mit Produkten interagieren, und um Entwickler, die diese verschiedenen Produkte nutzbar machen.
Ansprechpartner: Estelle Fernandez, HighTech Senior Industry Marketing Manager bei Dassault Systèmes
Erstmals erschienen bei Core 77