Für den internetaffinen Computeranwender ist die virtuelle Welt ohne Dateien eine Selbstverständlichkeit. Dagegen ist eine virtuelle Berechnungswelt ohne Dateien sicherlich eine gewöhnungsbedürftige Vorstellung, aber eine mit unbestreitbaren Vorteilen.
Finite-Elemente Berechnungen ohne Dateien? Zugegeben, der Gedanke hat etwas Revolutionäres und für manche vielleicht sogar Verrücktes an sich. Doch nichts ist in der IT-Welt beständiger als der Wandel. Was heute noch vertrauter Alltagsgegenstand ist, kann morgen schon fast vergessen sein.
Wer hatte schon am Anfang dieses Jahrhunderts geglaubt, dass die Diskette als Speichermedium schon wenige Jahre später überflüssig geworden ist? Und nun soll also die Datei in Rente geschickt werden? Dies sieht jedenfalls die Entwicklungsstrategie von Dassault Systèmes vor.
Fels in der Brandung
Es gibt schon gute Gründe, warum die Datei die gewaltigen Veränderungen in der IT-Landschaft in den letzten 30 Jahren überlebte. Dateien gibt es schon immer, jedenfalls für die U50-Generation der Berechnungsingenieure, die Lochkarten nur noch aus dem Museum kennt. So sind für ordnungsliebende Menschen Dateien eine prima Erfindung. Man kann ihnen sinnstiftende Namen vergeben und entsprechend ihres Inhaltes logisch in Ordnern sortieren – das Schubladenprinzip lässt grüßen. Der Inhalt einer Datei ist eindeutig, stellt ein in sich abgeschlossenes Paket an Informationen dar und bietet keinen Raum für Interpretationen. Dateien können virtuell oder auf Datenträger verschickt werden, ohne dass es weiterer technischer Zusätze bedarf. Dateien funktionieren im Übrigen auch offline. Und in der Welt der Berechnung sind es im Prinzip gerade mal nur zwei Arten von Dateien, die eine Berechnung vollständig definieren: die Eingabedatei, in der alle notwendigen Definitionen für das virtuelle Berechnungsmodell stehen sowie die zugegebenermaßen zuweilen wegen ihrer Größe recht unhandliche Ergebnisdatei mit den Berechnungsergebnissen.
Der Trend ist nicht immer ein Freund
Der Gedanke, dass es auch ohne Dateien gehen könnte, ist bislang sicherlich noch den wenigsten Berechnungsexperten gekommen. Warum auch, angesichts der oben beschriebenen Qualitäten. Doch die Arbeitswelt wandelt sich. Und so ist es gar nicht mal so sehr die IT-Landschaft selbst, die der Datei das Leben schwer macht. Es sind die durch die zunehmende Vernetzung der Arbeitswelt veränderten Arbeitsprozesse, die ein Umdenken erfordern.
Da ist zum einen die Globalisierung. Enorm beschleunigt durch die Internettechnologie rückt die Welt näher zusammen. So agieren sowohl Großunternehmen als auch in wachsender Zahl der Mittelstand zunehmend rund um den Erdball. Und dies gilt längst nicht mehr nur noch für den Vertrieb wie noch vor einigen Jahren. Auch die Produktentwicklung selbst findet vermehrt in multinationalen Arbeitsgruppen statt.
Zum anderen lässt ein noch recht junger Trend Dateien alt aussehen. Mobile Endgeräte, ausgestattet mit enormer Rechenleistung, hohem Anwendungsspaß und intuitiver Bedienphilosophie waren anfangs nur ‚hip‘ für den privaten Konsumenten. Doch durch entsprechende Angebote der Softwarehersteller massiv gefördert, finden die schlauen Geräte zunehmend Einsatz bei professionellen Anwendungen in allen Bereichen des Produktlebenszyklus. Die Grenzen zwischen Büro, Heim und unterwegs (wie auch zwischen privat und dienstlich) verschwimmen zusehends.
Es sind dies diese Veränderungen, die bei aller Wertschätzung für die Datei deren Nachteile zunehmend sichtbar werden lassen. Dateien liegen in der Regel irgendwo im Heimatverzeichnis eines stationären Rechners des Anwenders – und dort unerreichbar für Kollegen, Vorgesetzte oder externe Projektmitarbeiter. Dies wird spätestens dann zu einem Problem, wenn der Dateiersteller erkrankt oder aus dem Unternehmen ausscheidet, denn dann liegt ‚Know-how‘ unerreichbar brach. Im schlimmsten Fall fehlt das Wissen um die generelle Existenz dieser Datei. Im milderen Fall ist die Datei zwar auffindbar, doch mangelt es an Informationen, deren Inhalt korrekt einzuordnen. Dateien weisen höchstens über ihren Namen oder einigen Headereinträgen auf ihren Inhalt hin. Es fehlen Metadaten, die Aufschluss über den Inhalt geben können: Konstruktionsstand, Versuchsdaten, Materialdaten etc. Wertvolle Informationen, die für die gezielte Suche nach einem bestimmten Modellstand unerlässlich sind. Ein weiteres Manko von Dateien: diese wandern zwischen Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern hin und her. Ein jeder führt womöglich kleinere Änderungen durch, ohne dass diese nachvollziehbar protokolliert werden. Als Ergebnis werden aus ‚Äpfeln‘ ‚Birnen‘. Schlussendlich würde das Lagern von (zum Teil Gigabyte großer) Dateien auf mobilen Endgeräten nicht der Philosophie derartiger Geräte entsprechen.
Neue dreidimensionale Erfahrungen
Unser Alltag zeigt, dass Kommunikation und Wissensbeschaffung auch ohne Dateien auskommt. Suchmaschinenabfragen, E-Mail und Chat sind nur einige Beispiele hierfür. Dass dies auch im professionellen Umfeld kommerzieller Produktentwicklung und –darstellung geht, beweist die innovative 3DEXPERIENCE Plattform von Dassault Systèmes.
Mit der 3DEXPERIENCE Plattform geht Dassault Systèmes in seiner Entwicklungsstrategie konsequent den Weg, bislang singuläre Anwendungen auf Basis einer gemeinsamen Datenhaltung und mit einer einheitlichen Bedienphilosophie ausgestattet zusammenzuführen. Als Ergebnis erfährt der Anwender nicht nur eine engere, schnittstellenfreie Verzahnung zwischen den klassischen Anwendungen zur 3D-Modellierung, -Berechnung und -Darstellung. Es werden gleichzeitig auch die für eine standortübergreifende Zusammenarbeit erforderlichen neuen Technologien zum Sammeln, Suchen und Bereitstellen von Wissen integriert.
Als datenbankbasierte Anwendung kennt die 3DEXPERIENCE Plattform die Probleme einer ‚Dateiwirtschaft‘ nicht. Im Alltag von Berechnungsingenieuren bislang eher unbekannte, ‚klassische‘ Datenbankfunktionalitäten erhalten Einzug. So sorgen die Vergabe von Versionsnummern und die Verfolgung der Modellhistorie für Eindeutigkeit – es gibt nur noch eine Wahrheit. Ein mit der Zeit Auseinanderlaufen von Wissens- und somit auch Modellständen ist nicht mehr möglich.
Mit der 3DEXPERIENCE Plattform erfährt die Berechnung eine neue Qualität. Weniger hinsichtlich der Prognosegüte der Modelle selbst, denn für die inhaltliche Qualität der Modelle steht der Berechnungsingenieur weiterhin in der Verantwortung. Jedoch hinsichtlich Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Verfügbarkeit von Berechnungsmodellen und -ergebnissen. Dies wird der virtuellen Berechnung einen weiteren Schub vermitteln und deren Integration in den Produktentwicklungsprozess weiter vorantreiben.
Man darf somit davon ausgehen, dass in einigen Jahren das datenbankbasierte Arbeiten auch in der Berechnungswelt auf breiter Ebene Einzug gehalten hat. Und wer hierüber Zweifel hat, der möge an die Diskette denken. Verwandte Artikel hierzu sind auch „Die Cloud: Gefühlte Sicherheit und reale Vorteile“ oder aber etwas fachlicher „Die Zukunft der Konstruktionsoptimierung gehört der 3DEXPERIENCE Plattform“.
Autor: Volkmar Schönfeld, Dassault Systèmes