Smart Factory, Industrie 4.0 – Die intelligente, sich selbst steuernde Produktion ist, seit der Begriff auf der Hannover Messe 2011 an die Öffentlichkeit getragen wurde, ein Megatrend. Doch wie ist der Stand heute? Ist die Smart Factory in der Wirtschaft angekommen? Und wenn nicht, was sind die Hindernisse auf dem Weg zur vernetzten, intelligenten Produktion? Mit dem DELMIA Solution Consultant Marco Straub, haben wir uns über einen Teil der Vernetzung unterhalten, der sehr große Bedeutung hat, die Brücke zwischen Engineering und Produktion.
Herr Straub, für die Smart Factory wird der nahtlose Fluss von Daten aus der Konstruktion in die Fertigung benötigt. Wie schätzen Sie den heutigen Stand der Industrie dabei ein?
In den meisten Unternehmen ist die Smart Factory noch nicht komplett realisiert – nicht, weil die Unternehmen es nicht interessant fänden, sondern weil oft die Voraussetzungen fehlen. Denn ohne die von Ihnen angesprochenen durchgängigen Daten ist die intelligente Produktion einfach nicht möglich. Und an diesem Punkt sind viele Unternehmen eben noch nicht angekommen. Das hat sich auch auf der diesjährigen Hannover Messe in den Gesprächen mit unseren Kunden gezeigt. Es ging oft gar nicht bis zum Konzept einer Smart Factory insgesamt. Davor lagen häufig einfach zu viele offene Fragen zu einzelnen Aspekte der Produktionsplanung.
Für die Produktionsplanung gibt es ja verschiedene, spezialisierte Lösungen. Worum geht es den Unternehmen denn zumeist?
Das ist richtig, da gibt es bereits gute Lösungen, allerdings ist die Integration in vielen Unternehmen noch nicht nahtlos. Es wird auch sehr häufig noch ganz konventionell mit Tabellenprogrammen gearbeitet. Mit allen Problemen, die das mit sich bringt: So werden Daten aus dem CAD-System, wie aus CATIA oder SOLIDWORKS genutzt um schlichtweg Stücklistendaten zu übernehmen. Teils sind auch 3D-Viewer im Einsatz, um die 3D-Geometrie ansehen zu können. Eine echte Durchgängigkeit ist aber nicht gegeben, das heißt, ändert sich eine der verlinkten Dateien, muss das im Tabellenprogramm nachgezogen werden usw…
Wie könnte eine bessere Lösung aussehen?
Nun ja, auf jeden Fall durchgängiger. Über die 3DEXPERIENCE Plattform ist es einfach heute möglich Daten aus der Konstruktion im Zusammenhang in die Fertigung zu übernehmen, also 3D-Modelle und Metadaten. Das ist beispielsweise die Grundvoraussetzung für den wichtigen Prozessschritt, aus der Product Structure (eBOM) die Fertigungsstückliste (Manufacturing Bill of Materials, mBOM) zu erstellen. In der eBOM sind die Bestandteile eines Produkts nach den Gesichtspunkten der Konstrukteure sortiert, am Beispiel einer Tür nach Karosserieteilen, mechanischen und elektrischen Komponenten. In der mBOM werden dagegen alle Teile zusammengefasst, die zur Tür gehören – über alle Gewerke hinweg. Diese Arbeit lässt sich in DELMIA anhand des 3D-Modells sehr effizient erledigen, früher musste man die Bestandteile der Tür aus endlosen Listen heraussuchen. Und das ist nur ein Beispiel eines einzelnen Prozessschritts.
Welche Vorteile werden in der Praxis besonders geschätzt?
Die Transparenz einer durchgängigen Plattform ist sicher der wirkliche „Eye-Opener“. Einige unserer Kunden nutzen beispielsweise die DELMIA Process Planning Lösung, in welcher der Prozessplan in einem Dashboard als Kacheln dargestellt wird, das ist sehr einfach und übersichtlich.
Das Besondere: Jede Kachel ist mit den zugehörigen 3D-Daten verknüpft, ich komme also mit einem einzelnen Mausklick direkt an die Daten, statt in einem Wust von CAD-Modellen suchen zu müssen. So können die Prozessplaner wesentlich effizienter arbeiten, finden sofort die richtigen Daten und müssen nicht lange suchen. Das ist schon sehr „smart“ geworden insgesamt.
Wo sehen Sie die Industrie im Jahr 2030?
Damit sich Industrie 4.0 wirklich auf breiter Front durchsetzen kann, muss in den Unternehmen noch mehr Grundlagenarbeit gemacht werden – die Prozesse am Beginn der Kette müssen die richtigen Daten liefern, damit in der Produktionsplanung und im Shopfloor die Effizienzgewinne gehoben werden können.
Wer erfolgreich sein will muss der Digitalisierung und der Modernisierung der Infrastruktur in den kommenden Jahren eine hohe Priorität einräumen. Eine Top-Level-Strategie ist erforderlich, Digitalisierung als ausgeschriebene Masterthesis wird zukünftig nicht mehr ausreichen. Und ich glaube, die Unternehmen erkennen die Bedeutung einer durchgängigen Datenplattform hier immer mehr. Somit denke ich, dass wir in einigen Jahren insgesamt in Sachen smarter Fabrik mit den entsprechenden Datenflüssen zwischen den einzelnen Prozessschritten schon sehr viel weiter sein werden.
Und im Bereich der Fertigung selbst?
Auch hier ist es wichtig, die Themen sehr weit oben im Unternehmen aufzuhängen. Um die großen Datenmengen, die moderne, IoT-fähige Maschinen generieren, sinnvoll nutzen zu können, muss man wissen, was man damit anfangen will. Die Werkzeuge dafür existieren – in diesem Fall beispielsweise Exalead OnePart, jetzt geht es darum die Strategie für die beste Nutzung aufzusetzen. In den richtigen Schritten.
Was ist ihr Fazit?
Die Digitalisierung und digitale Plattformen bieten viele Vorteile, die Unternehmen bereiten sich vor und nehmen ihre Belegschaften mit im Prozess, das ist sehr gut zu sehen. Die Werkzeuge stehen ebenfalls bereit. Ich denke also die hiesige Industrie ist gut aufgestellt. Aber es kommen ja immer neue Themenbereiche und Fragen auf. Aktuell wird viel über Künstliche Intelligenz gesprochen. Deswegen freue ich mich auch besonders auf das 3DEXPERIENCE Connect am 4. November in Berlin. Hier sind die Herausforderungen an die Fabriken der Zukunft und KI Thema im deutsch-französischen Kontext. Ich bin sehr gespannt welche Fragen die Teilnehmer haben werden und wie der Blick auf die Fabrik der Zukunft auch von den vortragenden Wirtschaftsverbänden präsentiert werden wird.
Herr Straub, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!