Liveblogging – Tag 2 beim 3DEXPERIENCE Forum 2018

9:02 Uhr: Willkommen in Göttingen zu Teil 2 des 3DEXPERIENCE Forum 2018. Das Opening Video lockt die Teilnehmer – auch heute wieder fast 400 – in das Rund des Saals in der historischen Lokhalle.

Connected, contextual, continuous: Dassault Systèmes EVP Ribet.

9:07: Die Keynotes beginnen mit Dassault Systèmes EVP EMEA-Region, Olivier Ribet, und “A global perspective on Industry Transformations.” Er hat fünf Megatrends identifiziert:

  • Product + Umgebung = Experience: Produkte werden nicht mehr im luftleeren Raum entwickelt und genutzt, sondern interagieren mit ihrer Umgebung.
  • Silos aufbrechen, Punkte verbinden. Ribet sieht Bemühungen in dieser Richtung in vielen Unternehmen.
  • Profitatibilität und Stabilität. Dassault Systèmes wurde im letzten Jahr zum nachhaltigsten Unternehmen der Welt gewählt.
  • Von der Zulieferkette zum Value Network: Unternehmen wollen ihre Lieferketten flexibler machen.
  • “Open & Protected Innovation” – Ribet nennt es etwas schizophren, aber es sind tatsächlich zwei Seiten einer Medaille: Auf der einen Seite möglichst offen zu sein, um in Netzwerken arbeiten zu können, auf der anderen Seite das eigene geistige Eigentum zu beschützen.

Ribet gliedert seinen Vortrag nach drei Stichworten: Connected, Contextual, Continuous:

Connected: Menschen arbeiten in Echtzeit zusammen, direkt, über eine Plattform oder in Videokonferenzen. Menschen sind jederzeit verbunden. Die Neuerfindung der Unternehmen ist nicht einfach, aber unvermeidbar. Komplexität abbauen durch veränderte Prozesse. Kundenbeispiel KS Tools: Hier ist die 3DEXPERIENCE ein Kommunikationstool, in dem Projekte verwaltet und Ideen gesammelt werden – und das von überall her, weil die Plattform in der Cloud sitzt.

Contextual: Produkte müssen selbsterklären sein, viel Dokumentation stößt ab. Von Beginn an muss die Benutzung in die Entwicklung einfließen, um ein intuitiv benutzbares Produkt zu erhalten. Personalisiert, sicher, always-on – Kunden stellen hohe Ansprüche. Ein extremes Beispiel davon ist Personalized Health: Biomodex erstellt aus CT-Scans 3D-gedruckte Modelle der zu operierenden Bestandteile des Patienten, beispielsweise einer Hirnarterie. Anhand dieser Modelle lässt sich die Operationsstrategie genau auf diesen Patienten anpassen und optimieren – ein großer Vorteil für Patient und Arzt.

Continuous: Produkte enthalten Software und sind mit der Cloud verbunden. Sie werden ständig weiterentwickelt und verändern sich, zudem sind sie kontinuierlich verbunden – mit ihrer Umgebung, aber auch mit dem Hersteller. Dieser gewinnt wertvolle Einblicke in die Nutzung, was für die Weiterentwicklung wertvolle Impulse liefert.

Virtuelle und reale Welt waren viele Jahre getrennt, Dassault Systèmes führt die beiden Welten zusammen.

Leif Pedersen, BIOVIA-CEO: Wissenschaft ermöglicht uns eine Zukunft.

Leif Pedersen, CEO von BIOVIA, der Dassault Systèmes-Marke für Biowissenschaft, Chemie und Werkstoffe, zeigt ein beeindruckendes Video, das die Herausforderungen an die Menschheit zeigt: Zehn Milliarden Menschen sind 2050 zu ernähren, mit Wohnraum, Kleidung und allem anderen zu versorgen und dabei den Planeten nicht zu ruinieren. Aktuell verbraucht ein Mensch im Westen 2,8-mal so viel Ressourcen, wie die Erde zu bieten hat.

Beispiel Maispflanze: Wir nutzen heute nur einen winzigen Teil der Pflanze, nämlich die Maiskolben. Dabei besteht die Pflanze zu 70 Prozent aus Zucker und damit Energie. Elefanten leben von solchen Pflanzen – warum also nicht die Enzyme des Elefantenmagens synthetisieren und mit diesen die Pflanze komplett nutzbar machen? Bei Exxon wird an neuen Katalysatoren gearbeitet, die Rohöl effizienter und mit weniger Energieaufwand zerlegen. Evonik stellt Materialien her, die Produkte besser machen – alle arbeiten dabei mit BIOVIA.

Prof. Hoffmann, Weltmeister für Farhrzeugeffizienz.

10:00: Es geht nahtlos weiter mit Breakout Sessions, wieder im “Silent Disco”-Modus wie gestern. Auf Bühne 1 Prof. Michael Hoffmann von der Hochschule Trier mit Studenten, die das proTRon Projekt vorstellen.

Seit elf Jahren arbeitet die Hochschule mit Elektromobilität. 2011 bis 2015 nahm die Hochschule am Shell ECO Marathon teil und hat den Weltrekord in der Disziplin “Niedrigster CO2-Verbrauch pro Kilometer” erreicht.

Der ProTRon kommt mit dem straßentauglichen ProTRon Aeris 3.600 Kilometer weit – mit dem Energieäquivalent von einem Liter Benzin!

VR bei Opel: ein wichtiges Entscheidungsfindungswerkzeug.

Jan Hickmann und Nicolas Böcher von Opel sprechen über “Virtual Reality für das Engineering.” Zwei Caves werden bei Opel für Entscheidungsfindungen genutzt: Eine einfachere 2-Seiten-Cave wird im Engineering genutzt, um beispielsweise Blickwinkel zu prüfen.

Die Fünfseiten-High-End-Cave wird für Meetings mit allen Bereichen genutzt und enthält unter anderem einen Sitzbock, der an die Sitzpositionen aller Opel-Modelle angepasst werden. Ein virtuelles Pad ermöglicht dem Cave-Nutzer die Steuerung der VR-Szenerie.

Rasant auf dem Weg: Markus Pöhler von Wieland.

Markus Pöhler von Wieland und Hubert Lange von Dassault Systèmes sind mit “Advanced Planning and Scheduling bei Wieland” auf Bühne 3 präsent. Die Wieland Gruppe ist ein Hersteller von Halbfabrikaten aus Kupfer und Kupferlegierungen.

Das Unternehmen entwickelt in einem Sechsmann-Team Planungstools auf Basis der Quintiq-Softwaresuite. “Schwierige Planungen machen wir auf Quintiq, einfachere Sachen auf SAP.” Updates und komplette Programmierung von Anpassungen werden von den Wieland-Spezialisten durchgeführt.

Dr. Daniela Jansen zeigt der Prozessindustrie, was Dassault Systèmes in diesem Bereich zu bieten hat.

Dr. Daniela Jansen von Dassault Systèmes berichtet über den Stand der Technik in Bezug auf “Innovation in der Prozessindustrie.” Dassault Systèmes unterstützt Kunden in der Prozessindustrie in ihrer Produktinnovation.

Kunden berichten von Nutzen in Hinsicht auf Zeitersparnis, bessere Prozesse und mehr Innovation.

Kernbereiche sind Modeling und Simulation auf molekularer Ebene, Unterstützung von Laborabläufen und Dokumentationen sowie Data Science für wissenschaftliche Daten.

Es ist eine seltsame Stimmung: Der Saal ist voller Menschen – aber, wenn man die Kopfhörer abnimmt, fast totenstill, dann plötzlich brandet Applaus auf, wenn ein Vortrag zu Ende geht. Auffallend ist, dass viele Fragen kommen, es entstehen regelrechte Diskussionen nach den Vorträgen – eher selten bei solchen Formaten. Das spricht für die Qualität der Redner und Präsentationen.

Dr. Barbara Holtz: Auch die Prozessindustrie entwickelt neue, digitale Geschäftsmodelle.

10:40: Auf Bühne 4 geht es schon weiter mit Themen aus der Prozessindustrie. Dr. Barbara Holtz von Dassault Systèmes vergleicht Fertigungs- und Prozessindustrie: In ersterer werden Komponenten zusammengesetzt, in zweiterer Kuchen gebacken.

In der diskreten Fertigung lassen sich Teile austauschen, wenn man einen Fehler bemerkt, das Ei zuviel lässt sich aus dem Teig nicht mehr entfernen. Zur Skalierung braucht erstere mehr Menschen, letztere neue Anlagen.

Das macht möglichst optimale Ergebnisse im virtuellen Bereich des Prozesses so wichtig.

Dr. Hilmann von Ford zeigt, wie die Simulation in die Konzeptphase integriert werden kann.

10:45: Pünktlich geht es weiter auf Bühne 1 mit Dr. Jörgen Hilmann von Ford, der über CAE-getriebene Konzeptentwicklung spricht. Dort müssen viele Kompromisse geschlossen werden, um die Ergebnisse der Simulation im Modell umzusetzen. Dazu müssen die CAE-Modelle glaubhaft sein – also nicht veraltet oder zu vereinfacht. Hierfür gibt es nur ein gewisses Zeitfenster, eine Verkürzung der Simulationsvorbereitung ist also extrem nützlich.

Er zeigt, wie sich in der 3DEXPERIENCE beispielsweise verschiedene Dachkonzepte sehr schnell austauschen und berechnen lässt.

Ein Claas-Traktor auf dem Mars? Kein Problem mit 3DEXCITE.

Andreas Döker von Claas berichtet auf Bühne 2 über das Greenhouse, eine Ideenfabrik, über die hier schon einmal berichtet wurde. Döker kommt aus dem Marketing und zeigt, wie mit 3DEXCITE auf Basis von CATIA-Modellen herausragende Visualisierungen entstehen. Dort müssen auch Fahrzeuge und Anbaugeräte dargestellt werden, die nicht von Claas stammen.

Änderungen wie eine neue Rundum-Blinkleuchte lassen sich mit einem kurzen Update und einem neuen Renderlauf in beliebige Bildmaterialien integrieren.

Mit teils eher unglaubwürdigen, aber umso realer aussehenden Visualisierungen ließen sich die Verantwortlichen von der Visualisierung auf CAD-Daten-Basis überzeugen – Döker zeigte unter anderem ein Bild, auf dem Claas-Fahrzeuge die Landestelle von Elon Musks Tesla Roadster auf dem Mars vorbereiten

Smart Cities – ein faszinierendes Thema.

Bühne 3 ist das Zentrum der 3DEXPERIENCity, hier spricht Michael Lichtenthäler von Dassault Systèmes über “Neue Konzepte für die Planung von Städten und Regionen.” Es ist hochinteressant, was sich mit einem digitalen Stadtmodell alles simulieren lässt – Lichtenthäler präsentierte eine Verschattungssimulation, die zeigt, wie sich Gebäude gegenseitig abschatten. So lassen sich sinnvolle Orte für Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern finden. Auch die Rollstuhltauglichkeit lässt sich simulieren, ebenso die Klimatisierung der Stadt – wie bekommt man auf natürliche Weise kühle Luft in die Stadtmitte, die von Hochhäusern abgedeckt wird.

Kaffeepause – um 11:45 geht’s weiter mit den Breakout Sessions.

11:45: Die letzte Runde der Breakouts beginnt. Auf Bühne 1 finden sich Peter Pfalzgraf und Mirko Theiß von Prostep ein, um über die “Nahtlose Integration aktueller PLM-Systeme in die 3DEXPERIENCE Plattform” zu berichten.

PLM-Systeme koppeln – die Spezialität von Prostep.

Hierbei geht es darum, in einer Lieferkette PLM-Systeme verschiedener Firmen so zusammenzuschließen, dass Daten sauber übertragen werden können. Diese Unternehmen haben unweigerlich verschiedene PLM-Systeme oder zumindest unterschiedliche Konfigurationen.

Prostep nutzt die 3DEXPERIENCE Plattform, um die Daten aus Systemen wie Teamcenter oder Windchill zu aggregieren. Mit Hilfe der Power By-Strategie ist es möglich, Daten aus unterschiedlichen CAD-Systemen – aktuell Catia V5 – nativ in die 3DEXPERINCE zu importieren, ohne sie umzuwandeln. Das ist wichtig, um schnell geänderte Geometrien in das Mockup integrieren zu können. Prostep hat 20 Jahre Erfahrung in der Kopplung von PLM- und CAD-Systemen.

Systems Engineering erfordert ein ganz neues Mindset, findet Dr. Korthals von Claas.

Über die Einführung von “Systems Engineering bei Claas” berichten Dr. Kai Korthals von Claas und Dr.-Ing. Maik Auricht von Dassault Systèmes. Das gemischte Team aus Claas- und Dassault-Mitarbeitern in einem Solution Lab arbeitete in agiler Arbeitsweise. Nur so war es möglich, ein komplexes Fahrzeug in nur neun Monaten zu reengineeren und dabei die Methoden zu entwickeln, um in Zukunft Systems Engineering in die Produktentwicklung zu integrieren.

In weiteren Proof of Concepts und Piloten wird das Thema weiter an die Praxistauglichkeit herangeführt. Parallel werden für Schüler Workshops aufgebaut, in denen Systems Engineering erklärt wird – so soll das Systems Engineering Mindset schon in den Nachwuchs hereingebracht werden.

China als Partner sehen, nicht als Bedrohung – findet das Panel.

Eine interessante Panel Diskussion mit Kooperationen mit Jens Starkebaum, Dr. Volker Franke, Ulrich Sendler, Dr. Cora Jungbluth und Quiang Rong. Das Thema ist “China: Wie mittelständische Unternehmen profitieren können.” Herr Rong ist Repräsentant der Region Foshan, die seit sechs Jahren eine Partnerschaft mit Deutschland pflegen.

Herr Starkebaum von Harting berichtet, wie schnell die Entwicklung der chinesischen Produktion läuft – in wenigen Jahren von Handarbeitsplätzen zur Automatisierung. WeChat und andere Entwicklungen sind viel wichtiger als die nach wie vor vorkommenden Copyright-Verletzungen, findet Ulrich Sendler.

Daten auf Inseln – das geht nicht mehr, findet Fabian Höfer.

Über “PLM in der Medizintechnik” spricht Fabian Höfer von Aesculap. In der Medizintechnik ist die Dokumentation extrem wichtig, weil für jedes Gerät und jede Arznei eine Vielzahl von Parametern dokumentiert werden müssen:

Enthält es Latex, war die Kühlkette geschlossen, ist das Gerät REACH-compliant, wann ist es wo gefertigt, gelagert und transportiert worden?

Diese Fragestellungen verlangen nach einer integrierten Datenbank, in der alle Parameter verfügbar und schnell recherchierbar sind.

12:30: Eine Paneldiskussion zum Abschluss mit Klaus Löckel von Dassault Systèmes, Lynn Thorenz, Associate VP R&C bei IDC Deutschland. sowie Frank Liptow von Homag. Thorenz berichtet aus euner neuen Studie. Eines der Ergebnisse: Unternehmen mit mehr als zehn Prozent Umsatzsteigerungen sind Vorreiter der Digitalisierung.

Paneldiskussion mit Klaus Löckel, Lynn Thorenz und Frank Liptow.

Liptow berichtet, dass die Holzbearbeitungsmaschinen von Homag schon seit 20 Jahren mechatronisch sind, der Sprung zur Maschine mit Netzwerkanbindung, IoT und App-Steuerung war nicht allzu groß und ist bereits vollzogen. Die zukünftigen Maschinen werden noch stärker automatisiert und noch digitaler. 500 Ingenieure arbeiten bei Homag auf Catia, auch die virtuelle Inbetriebnahme ist schon etabliert.

Klaus Löckel berichtet, wie sich Dassault Systèmes selbst in den letzten Jahren digitalisiert hat und die selben Erfahrungen gemacht hat wie die Kunden: Manche nehmen die neuen Techniken an, andere haben mehr Probleme, sich umzustellen. Doch er sieht sein Unternehmen auf einem guten Weg.

Thorenz sieht Marktplätze und andere Plattformen entstehen, die die Industrie verändern. Das unterstützt die Dassault-Strategie, die sich beispielsweise im Make Marketplace manifestiert. Niedrige Einstiegshürden sind wichtig, damit Unternehmen Marktplätze nutzen. Liptow sieht die Chancen – die Zyklen in der Möbelindustrie werden immer kürzer, die Hersteller brauchen immer schneller neue Maschinen, was einen digitalen Prozess unumgänglich macht – und damit ist nicht ein Kontaktformular auf einer Website gemeint.

Deutsche Unternehmen haben Chancen, aber es gibt keine Möglichkeit, noch zu warten.

Löckel ist sicher, dass noch viel mehr möglich: “Für die meisten Kunden ist Time-to-Market wichtiger, als die Prozesse auf die letzten zwei Prozent zu optimieren. Dafür sind sie zu mutigen Schritten bereit – wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass große Unternehmen ihr ERP-System in die Cloud verlagern?” Thorenz sieht ein riesiges Potential gerade für deutsche Unternehmen mit datenbasierten Prozessen. Für die IT ist wichtig, diese zu modernisieren. Hier liegen viele Unternehmen weit zurück – weil das Geschäft läuft und die bestehende Infrastruktur soweit funktioniert.

Liptow: “Starten Sie jetzt – bevor Ihnen ein anderer Ihr Geschäft wegnimmt, ihre Ersatzteile verkauft.” Und mit einem Blick in die Runde und das doch etwas höhere Durchschnittsalter mahnt er, dass man loslegen muss: “Jetzt sind wir noch da, jetzt können wir etwas bewegen.” Löckel wirbt zum Abschluss noch einmal, sich untereinander auszutauschen und als Unternehmen zusammenzuarbeiten mit anderen Unternehmen.

13:05: Das Ende der Varanstaltung kommt mit Dank an das Veranstaltungsteam, wir freuen uns schon auf das nächste Jahr.

Ich bedanke mich für das Mitlesen und verabschiede mich aus Göttingen.

 

Ralf Steck

Blogger und Freier Journalist at EngineeringSpot
Maschinenbau-Ingenieur und freier Fachjournalist in den Bereichen CAD/CAM, Maschinenbau und IT. Blogger, Bastler, 3D-Druck-Enthusiast. Bastelt tagsüber an CAD-Systemen und Rechnern, abends an alten Autos.