Früher war Marketing eine Einbahnstraße, die entsprechende Abteilung eines Unternehmens entwickelte eine Marketingstrategie und setzte diese um; Feedback von Kunden kam praktisch nie, außer man fragte gezielt mit den Mitteln der Marktforschung nach. Das hat sich radikal geändert, über Social Media besteht ein direkter Rückkanal und auch die Auswertemöglichkeiten sind weitaus umfangreicher.
Im aktuellen Compass Magazin beschreibt ein Artikel die Herausforderungen an die Marketingverantwortlichen. Die Kombination aus Big Data und technologischen Fortschritten trägt dazu bei, das Marketing von einer durch Intuition und Kreativität geprägten Kunstform zu einer technologiebasierten und datenfokussierten Wissenschaft zu machen.
„Das Netz enthält Millionen kleiner Nischen und individueller Communities, in denen sich Menschen mit gleichen Interessen austauschen“, sagt Nick Parish, Chefredakteur von Contagious, einer britischen Beratungsgesellschaft, deren Ziel es ist, Marken mutiger zu machen. „Hier kommen die Daten und auch die wirklich kreativen Ideen ins Spiel. Daten sind zwar wichtig, aber wir dürfen die Fähigkeit nicht vernachlässigen, unübertreffliche Ideen zu entwickeln.“
KREATIVITÄT UND DATEN VERSCHMELZEN
Obwohl Kreativität unverändert wichtig ist, hat sich die Strategie, die dem kreativen Prozess zugrunde liegt, verändert. Big Data ermöglicht es, wertvolle Beobachtungen, Orientierungshilfen und Wachstumsmaßnahmen aus den Daten herauszufiltern. Dies ermöglicht es dem Marketing, aus Daten generierte Fakten mit modernster Technologie zu vereinen, um immersive und unterhaltsame Erlebnisse zu bieten. Zudem lässt sich mit diesen Fakten die strategische Entwicklung lenken.
Das Virtual-Reality-Headset Oculus Rift versetzt Marketingfachleute aufgrund der vielen Möglichkeiten, wie Produkte mittels 3D-Technologie entwickelt, präsentiert, hergestellt und vermarktet werden können, in helle Aufregung. (Bild © Oculus)
„Da die Verbraucher heutzutage die volle Kontrolle über den Kaufprozess besitzen und ständig ein Gerät zur Informationsbeschaffung, nämlich ihr Smartphone, bei sich haben, können und werden sie uns nach Belieben ignorieren“, sagt Joe Pulizzi, Gründer des Content Marketing Institute. Das Institut ist in Cleveland ansässig und schult Firmen darin, wie sie Verbraucher über Inhalte an sich binden. „Um überhaupt beachtet zu werden, müssen wir uns auf die 99% der Zeit konzentrieren, in der die Kunden uns gar nicht brauchen. Wie machen wir das? Wir müssen für die Kunden unabhängig von den Produkten und Dienstleistungen, die wir anbieten, wertvolle Erlebnisse schaffen.“
Diese „Erlebnisse“ wecken die Aufmerksamkeit der Kunden, weil sie dadurch eingebunden, informiert oder begeistert werden. Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research aus Cambridge, Massachusetts, hat ermittelt, dass 49% der Konsumenten digitaler Werbung nicht trauen, 38% trauen E-Mails nicht und 36% trauen Marken-Apps nicht. Die Schlussfolgerung laut Forrester ist, dass sich Kunden „nach nützlichen Interaktionen sehnen“, egal auf welcher Plattform oder über welchen Weg.
Erfolgversprechender ist es, Daten zu nutzen, um Kunden einzubeziehen. Die Unternehmensberatung McKinsey fand heraus, dass Unternehmen, die Big Data und Analysetools effektiv einsetzen, ganze sechs Prozentpunkte produktiver und profitabler sind als jene, die dies nicht tun. Bei der Auswertung von 250 Werbeaufträgen der letzten fünf Jahre stellte McKinsey darüber hinaus fest, dass Firmen, die „Daten in den Mittelpunkt ihrer Marketing- und Verkaufsentscheidungen stellen“, ihre Marketingrendite um 15% bis 20% gesteigert hatten.
EINZIGARTIGE HERAUSFORDERUNG FÜR B2B
Natürlich kämpfen nicht nur Hersteller von Verbrauchsgütern mit den Auswirkungen der digitalen Revolution. Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen unterhalten (B2B), stehen vor denselben technologischen und kundenspezifischen Herausforderungen. Durch die längeren Verkaufszyklen, mehr Einflussfaktoren und viele digitale Berührungspunkte sind Individualisierung und Zielgruppenansprache für B2B-Unternehmen besonders wichtig.
Marie Taillard, Professorin für Marketing an der Wirtschaftshochschule ESCP Europe in Paris nennt den Einsatz von Software bei GE Aviation als Beispiel dafür, wie „eine einzige Technologie ein gesamtes Ökosystem erschafft.“ Die Software ermöglicht es Kunden, Vertriebs- und Marketingmitarbeiter in Echtzeit miteinander zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten.
Eine offene Zusammenarbeit im Marketing sei für B2B von entscheidender Bedeutung, sagt sie „weil dies nicht nur eine technologische Veränderung, sondern auch eine riesige kulturelle und organisatorische Veränderung mit sich bringt.“
MARKETINGLEITER AUF DEM HEISSEN STUHL
Die kulturellen und organisatorischen Veränderungen wirken sich am stärksten auf Marketingleiter (Chief Marketing Officer, CMO) aus, deren Aufgaben, Kompetenzen – und selbst deren Titel – von der digitalen Welle erfasst wurden. Ein aktueller Artikel in der Harvard Business Review betont, dass in den Vorstandsetagen schon bald „Leiter für Marketingtechnologie“, sogenannte Chief Marketing Technologists, wichtig sein werden, die Strategie, Kreativität und Technologie in ihrer Position vereinen.
Während nur einige wenige Unternehmen die Aufgaben des Chief Marketing Officers und des Chief Technology Officers zusammenfassen und kombinierte Titel, wie CMTO, einführen, erkennen die meisten Firmen, dass die zwei Führungskräfte und deren Teams enger zusammenarbeiten müssen. Gartner fand in seiner CMO-Studie 2015 heraus, dass 81% der Großunternehmen einen Chief Technology Officer haben, der meistens dem Marketingleiter unterstellt ist. Mit den veränderten Rollen verschieben sich auch die Budgets. Gartner prognostiziert, dass die CMOs bis 2017 einen größeren Teil des Technologiebudgets verantworten werden als die Leiter der Informationstechnologie (Chief Information Officers, CIO).
Quelle: Forrester/Business Marketing Association Mai 2013 Global Marketing Online-Umfrage
„Die Rolle des Marketings erweitert sich, und es kommen Disziplinen hinzu, die bisher nichts mit dem Marketing zu tun hatten, wie Kundenservice und Technologie“, sagt Rohit Bhargava, Marketingberater, Autor und Gründer der Influential Marketing Group, eines Unternehmens für digitale Strategieberatung. „Die Grenzen verschwimmen, weil der Übergang zwischen den Kanälen fließend ist.“
Aber die Marketingleiter kämpfen aktuell mit den schwierigsten Herausforderungen in der Karriere ihres Berufsbilds. Marketingbudgets schrumpfen, obwohl die Zahl der Marketingkanäle exponentiell wächst. Während mehr Daten zu einem noch wissenschaftlicheren Ansatz bei den Marketingaktivitäten führen können, wird dadurch auch der Bedarf an neuen, seltenen Marketingfähigkeiten steigen und es wird sich der Druck verstärken, messbare Ergebnisse zu liefern.
Bhargava rät, den Werbeerfolg anhand der Kundenresonanz zu messen. Ein digitales Erlebnis sei schließlich auch ein Kundenerlebnis. „Kundenzufriedenheit wird überbewertet“, sagt Bhargava. „Wenn ich einem Kunden nur das gebe, was er will, ist er zufrieden, wir brauchen aber nicht noch mehr zufriedene Kunden. Wir brauchen mehr begeisterte Kunden.“
von Beth Snyder Bulik