Per virtuellem Zwilling zum Flughafen der Zukunft

effiziente FlughäfenWenn kürzliche Prognosen für den Luftverkehr sich bewahrheiten, stehen wir bis zum Jahr 2035 vor einer Verdoppelung der Passagiere im Flugverkehr gegenüber den Zahlen des Jahres 2016. Für die meisten Flughäfen dürfte dieser Ansturm eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe sein, jedenfalls mit den augenblicklichen Settings und Anlagen. Aber welche Möglichkeiten zur Verbesserung der Effizienz sind wirklich zielführend? Besonders im Zuge von Überlegungen zu Umbauten im laufenden Betrieb, Erweiterungen und Optimierungen lohnt sich ein Blick in die virtuelle Welt.

Wenn Versagen keine Option ist, müssen die Tests aussagekräftig sein

Verdeutlichen lässt sich das ideal an einem Beispiel aus dem März 2008, als die Eröffnung des Terminal 5 am Londoner Flughafen Heathrow im Chaos versank, statt mit einer Entlastung des Gesamtkonzepts zu starten. Denn trotz Realtests mit 12.000 Gepäckstücken über einen Zeitraum von einem halben Jahr brach die Anlage am Eröffnungstag zusammen und nach einigen Tagen stapelten sich bereits 28.000 Gepäckstücke, die dann teils per LKW ausgeliefert werden mussten. Ärgerlich und kostspielig, insbesondere, da sich die Schwierigkeiten über Monate hinzogen.

Was zu dem chaotischen Start geführt hatte, war vor allem die Betrachtung von mittleren Auslastungen anstelle der Abbildung von Spitzenlasten. Ebenso wurden Rahmenbetrachtungen außerhalb der reinen Gepäckabfertigung nicht bedacht. Vor allem am ersten Tag fanden viele Angestellte den Weg zu ihren Parkplätzen und dann ins Terminal nicht. Das mag zunächst bedeutungslos klingen, führte aber zu Problemen im Prozessablauf, da Gepäck-Check-Ins nicht besetzt werden konnten und so schon zu Beginn eine Spitzenlast an Gepäckstücken entstand, die dann verspätet ins System gelangten. Beim Dauerbetrieb waren manuelle Handlings aus anderen Terminals nicht bedacht worden. Sobald ein Flug verspätet war und die Umsteigezeit kürzer wurde, schaffte es zwar der Passagier ins neue Terminal und zum nächsten Flug, nicht aber das Gepäck, das von Hand aus den anderen Terminals hertransportiert und ins Transportsystem eingespeist werden musste.

Realität in die virtuelle Welt bringen

Genau hier hätte die virtuelle Technologie, wie sie zum heutigen Entwicklungsstand verfügbar ist, helfen können. Denn virtuell lässt sich auch ein komplettes Terminal in das komplexe Gesamtsystem Flughafen einbinden. Personalengpässe, Wegezeiten, Gepäcktransportzeiten und Reibungsprobleme aus anderen Prozessbereichen können im digitalen Zwilling simuliert werden. Beliebig oft, in diversen Fallvariationen, ohne Kapazitätsbindung der Mitarbeiter aus dem laufenden Betrieb.

Da die Datenbasis dafür aus realen Betriebsdaten in den virtuellen Raum übertragen wird, sind die Ergebnisse im virtuellen Abbild sehr exakt. Der digitale Zwilling bringt die Realität ins Virtuelle und Sicherheit in die Schätzungen, auf denen die Weiterentwicklung bestehender Anlagen basiert. Änderungen an der bestehenden Anlage, beispielsweise um die Kapazität zu erhöhen, lassen sich in der sicheren Welt des virtuellen Modells inklusive aller Nebenbedingungen und Sonderfälle testen und so lange optimieren, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist.

Simulation begleitet den Entwicklungsprozess

Die Verkehrsdrehkreuze von heute müssen effizienter und leistungsfähiger werden, um mit den Herausforderungen der Zukunft mithalten zu können. Die Erweiterungen und Optimierungen dürfen dabei den laufenden Betrieb nicht stören, müssen auf Anhieb funktionieren und sollen sich möglichst nahtlos in die bestehende Infrastruktur einfügen. Das lässt sich nur erreichen, indem man die Tests auf die virtuelle Seite des digitalen Zwillings verlegt.

Die Aufgaben sind groß – schließlich gibt es neben dem prognostizierten Aufschwung im Passagierflugbereich auch kein absehbares Ende bei den Steigerungen im Luftfrachtverkehr, dessen effiziente Abwicklung teilweise noch erfolgskritischer ist.

Der digitale Zwilling begleitet das Gebäude des Flughafens und ermöglicht es, ständig das digitale Soll-Modell mit dem realen Ist-Zustand zu vergleichen. Denn letztendlich geht es beim Flughafen nicht nur um das Erlebnis des Passagiers auf Reisen, sondern auch um die Auswirkungen von Effizienzschwächen und Kapazitätsschwächen auf die Erfolgsbilanz und ums Überleben als Drehkreuz im internationalen Flugverkehr.

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Enrico Scharlock

Enrico Scharlock ist Industry Solution Experience Senior Director für die Luft- und Raumfahrtbranche bei Dassault Systèmes.

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