Simulation: Exponentieller Fortschritt

Dass die Simulation ein wertvolles Werkzeug im Produktentwicklungsprozess ist, dürfte inzwischen Allgemeingut sein. Doch nach wie vor wird die numerische Analyse von Festigkeit, Wärme, Strömungen und anderen physikalischen Abläufen meist am Ende des Konstruktionsprozesses eingesetzt. Viel mehr Sinn macht es jedoch, die Simulation so früh wie möglich in den Prozess zu integrieren – dann lassen sich die Erkenntnisse aus der Analyse nahtlos in den Konstruktionsprozess integrieren.

Die Simulation war aufgrund der hohen Anforderungen an die Rechenleistung früher ein echtes Nischenthema – hochkomplexe Programme mussten bedient, Modelle mühsam aufgebaut oder vereinfacht werden. Die Berechnung dauerte Tage und Wochen oder erforderte Rechner, die sich nur in Konzernen und an Hochschulen fanden. Aufgrund dieser Beschränkungen ist Simulation traditionell ein Mittel zur Verifikation, das heißt, man setzt sie ein, um eine fertig ausdetaillierte Produktentwicklung zu testen.

bisherige Prozesse

Das Ziel in diesem Ansatz ist es, physikalische Prototypen zu ersetzen. Der große Nachteil: Wird ein Problem oder auch nur Optimierungspotential gefunden, lassen sich entsprechende Änderungen nur mit hohem Aufwand umsetzen – das Produkt ist ja praktisch fertig, die Markteinführung steht vor der Tür. Die Folge: Optimierungspotentiale werden nicht ausgeschöpft, problematische Teile notdürftig geändert statt optimal neu konstruiert.

Doch die Welt hat sich geändert: Eine Apple Watch besitzt die vierfache Rechenleistung des Supercomputers Cray-2, der 1985 der schnellste Computer der Welt war. Das gibt einen Begriff davon, was ein moderner Vier-, Acht- oder gar 72-Kern-Desktopcomputer leisten kann. Und wem diese vor wenigen Jahren noch unvorstellbare Rechenleistung nicht ausreicht, der kann seine Berechnung in die Cloud geben, wo praktisch unendliche Ressourcen zur Verfügung stehen. Berechnungen, die früher einfach nicht durchzuführen waren, weil die Berechnung zu lange dauerte, benötigen heute wenige Minuten.

Einen Teil der inzwischen zur Verfügung stehenden Rechenleistung setzen die Softwareentwickler heute dafür ein, ihre Simulationssoftwarelösungen einfacher bedienbar, intelligenter und effizienter zu machen. Die Software kann eigene Annahmen treffen, bei der Auswahl der richtigen Randbedingungen helfen und beispielsweise Rechengitter selbständig definieren. Das vereinfacht die Bedienung der Simulationsprogramme erheblich.

Damit ist aber auch das althergebrachte Paradigma der Simulation als Verifikationswerkzeug am Ende des Prozesses hinfällig – es lohnt sich, Simulation möglichst weit nach vorn in den Prozess zu ziehen. Der Zeitaufwand, eine Simulation aufzusetzen, ist gesunken – das bedeutet, man kann auch schon Simulationen aufsetzen, wenn viele Randbedingungen noch gar nicht genau festliegen – es lässt sich ja jederzeit ein weiterer Rechenlauf mit genaueren Werten durchführen. Dasselbe gilt für die Geometrie, grobe Modelle lassen sich schnell analysieren und immer wieder im Prozessverlauf neu simulieren. So begleitet die Simulation den Entwicklungs- und Konstruktionsprozess – und je früher Probleme erkannt werden, desto einfacher lassen sie sich beseitigen.

Spannungen sichtbar machen per Simulation
Simulation hilft Belastungen und Spannungen zu erkennen

Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, landet man beim Systems Engineering und der 1D-Simulation. Hier werden Produkte als Systeme von Funktionen beschrieben – lange bevor eine Geometrie festliegt oder auch nur feststeht, ob eine Funktion mechanisch oder in Software umgesetzt wird. Die Systemsimulation zeigt dann, ob alle Funktionen unter den vorgegebenen Bedingungen so ablaufen, wie man es gerne hätte. Erst dann, wenn das funktionale Design steht, wird in die „reale virtuelle“ Welt der 3D-Modelle gewechselt. So lässt sich der Aufwand für Fehlerbeseitigung und Optimierung noch weiter verringern. Unternehmen die solche Vorgehensweisen optimal umsetzen, konnten eine Zeitersparnis von über 80% in den notwendigen Iterationsschleifen zwischen Konstruktion und Berechnung erreichen. Das entspricht einem Gesamtgeschwindigkeitsgewinn und einer Kostenreduktion von einem Faktor 3!

Die dritte Methodik, die der IT-Fortschritt ermöglicht, ist das Generative Design. Statt zuerst eine Geometrie zu entwickeln und diese dann zu testen und iterativ zu optimieren, gibt der Konstrukteur nur noch Bauraum und die erwarteten Kräfte vor, die Software errechnet dann eine optimale Struktur, die diese Kräfte aufnehmen kann. In Zeiten, in denen geringer Ressourcenverbrauch und Gewicht ganz oben auf der Liste der Anforderungen an Produkte stehen, ist dies ein sehr effizienter Weg, zu extrem optimierten Produkten und Bauteilen zu kommen.

Wie sieht nun ein optimaler simulationsgestützter Produktentstehungsprozess in der Praxis aus? Der Prozess startet mit dem Systems Engineering, in dem gewährleiastet wird, dass alle Funktionen gesichert und optimiert sind. Die Konstruktion wird von einem Simulationsmodell begleitet, das regelmäßig durchgerechnet und mit dem Fortschritt der Konstruktion immer weiter verfeinert wird. Am Ende stehen – wie auch im bisherigen Prozess – Validierungssimulationen, die aber eben nur noch letzte Sicherheit geben und gleichzeitig schon die Fertigung berücksichtigen.

Optimierter Prozess

In einem solchen simulationsgetriebenen Produktentwicklungsprozess bleiben Fehler nicht unerkannt, bis es zu spät für eine optimale Korrektur ist, sondern sie werden in dem Moment entdeckt, in dem das Modell detailliert genug ist, diese Fehler zu erkennen. So bleibt genug Zeit, eine optimale Lösung zu finden und die Änderungskosten bleiben so niedrig wie nur möglich. Generative Design gewährleistet eine optimale Ausnutzung der Ressourcen und drückt die Kosten weiter.

Unternehmen, die nach vorne schauen, nutzen die Vorteile und die Werkzeuge, die ihnen der Fortschritt an die Hand gibt. Durchgängige Datenplattformen, die die richtigen Informationen zur Verfügung stellen und auf deren Basis eine kontinuierliche Simulation möglich ist sind der Schlüssel für die Zukunft der Produktentwicklung.

Dieser Artikel entstand unter Federführung von Wölfel Engineering. An dieser Stelle ein herzlicher Dank an Herrn Andreas Seidel.

Alle Bildrechte: Wölfel Engineering

Bernd Löwenkamp

Bernd Löwenkamp ist Senior Manager im Marketing und zuständig für die Kooperation mit Geschäftspartnern, besonders im Bereich der Automobilbranche.