Softwaretechnik ist nicht gleich Softwaretechnik

Technisches Arbeiten mit direktem Kontakt zur Software, also zur 3DEXPERIENCE Plattform, das heißt bei Dassault Systèmes in Deutschland vor allem Arbeiten im Umfeld von Technical Sales, Consulting, Projektmanagement und Support. Natürlich gibt es in den angesprochenen Bereichen auch immer wieder Praktikanten, allerdings schreiben wir in der Regel keine standortweiten E-Mails über Neuzugänge als „Praktikant der Softwaretechnik“. So war ich zunächst eher etwas genervt und kurz davor einfach auf „Delete“ zu klicken, als Ende September eine E-Mail mit dem Betreff „Neue Praktikantin“ in mein Postfach flatterte.

Die E-Mail kam von meinem Kollegen Frank Gugenberger, DELMIA Portfolio Senior Technical Specialist. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist es, Anforderungen von Kunden zu sammeln, sie mit existierenden Funktionen abzugleichen und daraus die Weiterentwicklung der 3DEXPERIENCE Plattform für DELMIA Digital Manufacturing zu definieren. Der Kernpunkt seiner Mail jedoch ging gar nicht um das Thema, sondern um ein „Experiment“, wie er es bezeichnet hat. Für ihn begann die Geschichte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, am Anfang des Jahres 2016. Zu diesem Zeitpunkt beginnt er sich für die Flüchtlingshilfe zu engagieren und lernt kurz darauf Rama alBain, eine junge Softwaretechnikerin aus Syrien und ihre Familie kennen, die nach ihrer Flucht aus Aleppo nun in Stuttgart Unterkunft gefunden haben.

RamaAlBain-und-Frank-Gugenberger-von-DELMIA

Die 25-jährige kam mit ihrer Schwester und ihrem Vater vor etwa einem Jahr in Baden-Württemberg an, seit kurzem ist auch die Mutter wieder mit der Familie vereint. Ramas Vater ist Bauingenieur, sie selbst hat die allgemeine Hochschulreife und hat  vor dem Krieg in Syrien am Technischen Institut für Computertechnik ein „Technisches Diplom in Softwaretechnik“ erworben. Das zweijährige Studium an der Universität Aleppo ist zeitlich und inhaltlich nicht vollständig mit einem Bachelor in Informatik  in Deutschland vergleichbar, zumindest im praktischen Teil gibt es aber Gemeinsamkeiten. Nach dem Abschluss arbeitete Rama noch an der Universität und programmierte dort in der Programmiersprache C# eine Software zur Verwaltung der Noten der Studierenden. Danach arbeitete sie an einer Privatschule, wo sie Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren das Programmieren lehrte. Für Frank Gugenberger war damit die Brücke geschlagen, warum sollte man nicht mal ‚testen‘ was sie kann und nach einigen Jahren des Krieges noch parat hat?

„Mit eines der größten Probleme von Flüchtlingen ist es, auf dem deutschen Arbeitsmarkt schnell irgendwie Fuß zu fassen, ohne zunächst jahrelange Qualifizierungsmaßnahmen (Sprachkurse, Bewerbungstrainings, Anerkennungsverfahren, Tests, …) durchlaufen zu müssen. Und ich bin der Meinung, dass man Vieles nirgendwo besser lernt als „on-the-job“, zusätzlich zu Kursen und anderen Maßnahmen versteht sich. Deswegen habe ich in unserem Hause angefragt, ob es möglich sein würde, Rama trotz noch nicht ausreichender Sprachkenntnisse ein Praktikum machen zu lassen“ berichtet Frank Gugenberger mir in unserem gemeinsamen Termin mit Rama für diesen Artikel. Für ihn stand fest, die Sache ist es wert und er würde die junge Frau bei Ihrem Einstieg betreuen.

So kam es dann auch zu der E-Mail und meinem Termin mit den Beiden. Natürlich war ich neugierig, wie diese junge Frau uns wohl erlebt, wie Ihr Einstand war und ob das Experiment ein Erfolg würde. Leider dauerte es relativ lange, bis Rama einen Platz in einem Deutschkurs bekam, doch nun lernt sie seit vier Monaten unsere Sprache. Die letzten zweieinhalb Monate, in denen sie bei Dassault Systèmes während 10 Wochenstunden mit Deutschsprachigen zusammenarbeitet, hatten da einen sehr positiven Effekt und sie kann sich schon recht gut verständigen, finde ich.

Trotzdem war der Anfang bei uns schwer für sie, zum einen wegen der Sprache, zum anderen wegen der relativ komplexen Thematik, um die es bei Dassault Systèmes geht. Doch sie arbeitet sich mit großem Eifer zunächst ins Thema 3D-Design mit CATIA ein und macht große Fortschritte. „Mittlerweile“, so berichten Sie und Frank mir lächelnd, „ist Rama ist so weit gekommen, dass ihre Fragen zur Bedienung von CATIA Part Design für mich als DELMIAner zu schwierig werden“. Der nächste Schritt ist der Einstieg in die DELMIA Thematik und die eigentliche Arbeit im DELMIA  Team kann beginnen. Frank sagt: „Wir sind in Gesprächen mit HR und dem JobCenter Stuttgart, um es Rama zu ermöglichen, Ihre neu gewonnen Erkenntnisse in einer Anschlussbeschäftigung zu vertiefen und selbstständig anzuwenden. Ich hoffe, dass es klappt.“

Sobald es ihre Deutschkenntnisse erlauben – ihr momentaner Level ist B1 (Unterniveau B1.1) – will sie den nächsten Schritt wagen. Das könnte z.B. ein Studium der Informatik an der Dualen Hochschule sein. Noch kann sie sich sicher nicht mit den Absolventen eines Hochschulstudiums hier in Deutschland messen, aber sie ist auf einem guten Weg.

Beeindruckend, wie diese junge Frau, trotz ihrer Vorgeschichte mit der Flucht aus dem Krieg und der langen Trennung von der Mutter, trotz allen Schwierigkeiten, hier ihren Weg macht.

„Das ganze Team bei Dassault Systèmes hat mich herzlich aufgenommen und unterstützt mich nach Kräften. Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben – sowohl in Stuttgart als auch hier im Unternehmen“ erzählt Rama mir.

Klar ist auch, der Nahe Osten kann in der Zukunft ein großer Markt werden, wenn die Lage sich bessert – und dann könnten Menschen wie Rama, die sich bis dahin sehr gut in unserer Sprache auskennen und unsere Software beherrschen wird, als Muttersprachler des Arabischen plötzlich sehr gefragt sein.

In jedem Fall lässt sich jetzt schon sagen, menschlich ist diese tolle junge Frau eine Bereicherung und hat unserem Team gut getan. Viel Glück Rama, wir glauben an Dich!

Petra Kraemer

Petra Kraemer ist Senior Manager für die Onlinekommunikation bei Dassault Systèmes in Zentraleuropa, sie bloggt zu Themen wie digitaler Transformation, Innovation & Technologie und new Work.