Supply Chain – Netzwerke knüpfen, ohne sich zu verheddern

Ein zentrales Thema der digitalen Transformation ist der Wandel von Lieferketten zu Wertschöpfungsnetzwerken wie er unter anderem in diesem Artikel im Quintiq-Blog beschrieben wird.

Produktions- und Supply Chain PlanungDie neue Vernetzung bringt zwar Transparenz und neue Beschaffungsmöglichkeiten, allerdings verkomplizieren sich mit diesem Wandel auch die Planbarkeit der Fertigung und Logistik massiv. Für serielle Prozesse ist das hiesige produzierende Gewerbe in der Regel bereits gut aufgestellt: Vom Fertigstellungszeitpunkt des fertigen Produkts über jeden Schritt der Lieferkette zurück bis zu den Rohstoffen, das lässt sich auch mit Standardtools und Methoden noch relativ gut abbilden. Moderne Fertigungstechnologien, individualisierte Produkte und die Erweiterung des Lieferantennetzwerks über Online-Marktplätze führen aber nun zu wesentlich komplexeren Abhängigkeiten. Die Frage, die sich mit der Digitalisierung und Vernetzung jetzt stellt ist, wie es gelingen kann neue Netzwerke zu knüpfen, ohne sich in ihnen zu verheddern.

Drei zentrale Themen prägen den aktuellen Wandel:

Die variierende Individualisierung von Produkten:

Produkte sind selten komplett individualisiert, manche, eher standardisierte Teile lassen sich nach wie vor gut vorproduzieren, beziehungsweise der Bedarf lässt sich mit höherer Sicherheit planen als bei den Komponenten, die stark dem persönlichen Kundenbedarf unterliegen. So haben beispielsweise Fahrzeuge eines Typs dieselbe Karosserie, aber eine Vielzahl von Innenraum- und Motoroptionen. Es existiert ein ganzes, nahtloses Spektrum von Standard-, „Halbstandard“- und mehr oder weniger stark individualisierten Teilen.

In Sachen Terminierung der Fertigungsschritte von Standardkomponenten und Individualteilen im Rahmen von just-in-time Prozessen ist die Automobilbranche sicher mit am besten aufgestellt. Allerdings wird diese Komplexität für immer mehr Branchen zur alltäglichen Herausforderung. Damit zeigt sich auch relativ schnell, dass eine Produktionsplanung auf Basis von Tabellenprogrammen vermutlich an ihre Grenzen stoßen wird. Besonders für kleinere oder mittlere Unternehmen ist die Einführung übergreifender Werkzeuge damit zwar zum zentralen Element geworden, die Fragen des „wie“ sind allerdings oft Anker langwieriger und kritischer Entscheidungsprozesse.

Die Kapazitätsplanung in flexiblen Netzwerken:

Zeitgleich ist es nicht damit getan, die Startpunkte für die verschiedenen Teile zu planen – diese Termine müssen natürlich auch mit den Kapazitäten in Einklang gebracht werden. Und diese Kapazitätsplanung wird umso schwieriger, je fragmentierter und flexibler das Wertschöpfungsnetzwerk ist. So schön es ist, wenn man bei Bedarf einen Fertigungsschritt zu einem anderen Lieferanten umplanen kann, der im Gegensatz zum Hauptlieferanten noch Kapazitäten frei hat – dabei muss sichergestellt werden, dass die Qualität identisch, die richtigen Fertigungsunterlagen vorhanden und die Kapazität tatsächlich frei ist. Zudem müssen solche flexiblen Ketten gut dokumentiert und transparent sein, damit sich die Zulieferer darauf einlassen. Schließlich steckt in den Teilen und der Fertigung oft auch Know-how des Zulieferers, das dieser ungern an einen Mitbewerber abgeben möchte.

Planungshorizont und Echtzeitdaten als Anforderungen an Advanced Analytics:

Schließlich nimmt die Volatilität von Produkten immer mehr zu – was heute „in“ ist und reißenden Absatz findet, kann morgen schon „out“ und Ladenhüter sein. Produktmängel sprechen sich in den sozialen Medien schnell herum und zwingen den Hersteller zum Aktualisieren und Verbessern. Langfristige, immer gleiche Lieferketten sind in einer solchen Marktsituation kaum mehr existent.

Für die Planung bedeutet das: Flexibel sein, nicht zu weit voraus festlegen – aber auch: Keine Panik! Gleichzeitig mit der wachsenden Volatilität bringt die Digitalisierung einen immer aktuelleren Einblick beispielsweise in Verkaufszahlen. Wenn man quasi in Echtzeit sieht, wie gut das Produkt läuft, kommt man in Versuchung, die Produktion ebenso schnell anzupassen. Doch die Echtzeitdaten aus dem Vertrieb verführen oft zu verfrühten Reaktionen. Ein aktueller Einbruch in den Verkaufszahlen kann darauf zurückzuführen sein, dass in einem Land ein langes Wochenende war und die Menschen am Montag umso mehr kaufen werden. Würde man daraufhin die Produktion schon herunterfahren, wenn der Bedarf einbricht, wären nach der Urlaubspause nicht genug Produkte verfügbar.

Der gemeinsame Nenner der angesprochenen Punkte ist eine wachsende Komplexität und die Notwendigkeit, mehr Informationen zu sammeln, um die immer kurzfristigeren Entscheidungen richtig treffen zu können.

Martin Thesling

Martin Thesling ist als Berater für den Bereich Supply Chain Management und integrierte Planung bei Dassault Systèmes für die Marke DELMIA Quintiq tätig. Dies umspannt diverse Industrien und Bereiche z. B. Postlogistik, maritime Logistik, intermodale Transportlogistik oder Produktions- und Fertigungsprozesse. Martin Thesling begeistert sich bereits seit seinem Master in „Operations Research and Mathematical Economics“ der Universität Maastricht, Niederlande für komplexe Logistikprozesse.

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