Überwältigende Komplexität – Systems Engineering steht erst am Anfang

Früher waren Produkte rein mechanisch, später kamen dann elektrische Antriebe und Steuerungen hinzu, noch später Software. Lange Jahre waren Elektrik und Software jedoch nur Hilfsmittel, die eigentliche Funktionalität steckte nach wie vor in der Mechanik. Das hat sich in den letzten Jahren radikal geändert – E-Technik und Software sind mit Stichworten wie Mechatronik und Smarte Produkte zu gleichberechtigten Disziplinen aufgestiegen, die ebenso an der Funktionalität beteiligt sind die die Mechanik – wenn es in Richtung IoT geht, haben sie die Mechanik sogar überflügelt. Es fehlt nun aber eine Möglichkeit, solche modernen Produkte in ihrer Gesamtheit zu beschreiben.

Komplexität und SE

Hier kommt Systems Engineering ins Spiel, das entstand, um Schwierigkeiten zu lösen, die sich aus dem Zusammenwirken Dutzender konkurrierender Untersysteme ergeben und ein Produkt mit optimaler Gesamtleistung zu erschaffen. Diese Fähigkeit ist für den Aufbau eines zuverlässigen und sicheren Internets der Dinge (IoT) unverzichtbar, jedoch befürchten führende Experten, dass öffentliche und private Unternehmen diese Herausforderung nicht meistern können.

Millionen Geräte und Nutzer. Milliarden Zeilen Computercode. Tausende Hersteller mit unterschiedlichen Zielen, die unabhängig voneinander arbeiten, um ein System zu erschaffen, dessen „Ausmaß, Evolutionsrate und Vielfalt der Beteiligten es unmöglich macht, irgendeine Art der herkömmlichen hierarchischen Führung oder Verwaltung umzusetzen, dessen geplanter Verwendungszweck jedoch ein Höchstmaß an Vertrauen, Sicherheit und Servicequalität erfordert.“

So beschreibt Hillary Sillitto, Fellow des International Council on Systems Engineering (INCOSE), Ultra-Large-Scale Systeme (ULSS), und ganz besonders das größte, je dagewesene ULSS: das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). „Der derzeitige Stand der Technik ist der Wissenschaft voraus“, sagt Sillitto, ein führender Experte für ULSS. „Wir erschaffen Systeme, die wir nicht charakterisieren oder analysieren können und deren Verhalten wir nicht in vollem Umfang vorhersagen können.“

Weltweit suchen Systemingenieure intensiv nach Antworten. Sie sind darauf spezialisiert, Konflikte zu erkennen und zu beheben, die sich bei der Erstellung von Systemen mit hunderten oder sogar tausenden Untersystemen ergeben. Ihre Schwerpunkte liegen unter anderem darin, neue Entwicklungsprozesse für komplexe Produkte zu entwickeln oder auch in der Runderneuerung von computergestützten Entwurfs- und Konstruktionsprogrammen, damit diese den besonderen Anforderungen des Systems Engineerings (SE) besser gerecht werden.

Systemingenieure sind in einem Projekt die Architekten, die gewährleisten müssen, dass sich alle Untersysteme gegenseitig unterstützen und fördern, damit ein optimales Ganzes entsteht. Im Idealfall arbeiten Experten aller technischen Disziplinen gemeinsam daran, Kompromisse zu finden und möglicherweise einige Systeme herabzustufen, um die bestmögliche Leistung im Großen und Ganzen zu erzielen.

Doch dieser Idealfall ist von der Realität meilenweit entfernt. „Die Welt ist einfach nicht gut im Systems Engineering“, beklagt Norman R. Augustine, ehemaliger Vorsitzender des Vorstandes und CEO des globalen Sicherheits- und Luftfahrtunternehmens Lockheed Martin mit Sitz in den USA und ehemaliges Mitglied des Beraterstabs für Wissenschaft und Technologie des US-Präsidenten.

Experten wie er stellen der Welt in Sachen Systems Engineering kein gutes Zeugnis aus. Denn sie sehen die riesige Kluft zwischen dem Unternehmenserfolg, der sich durch eine starke Systems Engineering-Ausrichtung erzielen ließe, und dem fehlenden Eifer, den Unternehmens- und Regierungschefs in dieser Beziehung an den Tag legen. „Die Diskrepanz ist riesig und extrem kostspielig“, sagt auch Daniel Krob, Präsident des Center of Excellence on Systems Architecture, Management, Economy and Strategy (CESAMES) in Paris und Professor für Computerwissenschaft an der Ecole Polytechnique.

Es sei eine große Herausforderung, die Unternehmen davon zu überzeugen, Systems Engineering zu würdigen und umzusetzen, sagt Brian Meeker, Direktor von Deloitte Consulting. „Die erfolgreichsten Unternehmen haben den Wert des Systems Engineerings erkannt, doch sie sind eher die Ausnahme als die Regel“, sagt er. „Die meisten Firmen haben ihre Geschäftsmodelle und -prozesse noch nicht entsprechend weiterentwickelt, um SE-Prinzipien umzusetzen. Es gibt nur vereinzelte Lichtblicke.“

Aktuelle Systems Engineering-Tools seien noch nicht sehr leistungsfähig, meint NASA-Chief Technologist David Miller, obwohl bereits neue in der Entwicklung seien. Zu den wichtigen Verbesserungen zählt die computergestützte Änderungsweitergabe, die Ingenieure warnt, wenn die Veränderung eines Untersystems Änderungen an anderen Untersystemen erforderlich macht. Das IoT wird sich jedoch minütlich ändern, weil tausende – vielleicht sogar Millionen – unabhängiger Nutzer ständig neue Geräte und neue Fähigkeiten hinzufügen. „Viele der Systeme, die wir heute entwickeln, basieren auf Annahmen, die womöglich langfristig nicht haltbar sind“, sagt Miller. „Wie sollen wir also die Systeme konzipieren, damit sie viele Jahre gebrauchsfähig bleiben?“

Die Antwort sei laut Miller das Model-Based Systems Engineering (MBSE), bei dem jedes Konzept in seiner Entwicklung erfasst wird, aber auch Konzepte, die verworfen wurden, sowie die Gründe dafür. All dies wird in einem dynamischen 3D-Modell verarbeitet, anstatt in diversen statischen Dokumenten. MBSE erlaubt eine nahtlose Übertragung gewonnener Erkenntnisse und bietet die Möglichkeit nachzuforschen, wie ähnliche Probleme von anderen gelöst wurden. Außerdem unterstützt es die virtuelle Computersimulation sowie das Testen komplexer Systeme, um ein optimiertes Ergebnis zu garantieren, noch bevor irgendetwas gebaut wird. Weitere vielversprechende Verbesserungen sind die Projektmanagement-Dashboards und Kollaborationswerkzeuge, die den populären Social-Media-Seiten ähneln.

„Man kann sich allmählich vorstellen, dass schon bald ein Raum voller Experten in Echtzeit und computergestützt ein ganzes Sortiment komplexer und maßgeschneiderter Produkte – in erster Linie Systeme von Systemen – innerhalb von Wochen statt Jahren entwickelt“, sagt Miller.

Im Zeitalter des IoT werden die Systeme der Systeme zahllose Formen annehmen, und es werden sich für öffentliche Organisationen und private Unternehmen neue Wege auftun, um über Branchen hinweg Werte zu schaffen und einige der größten wirtschaftlichen und sozialen Ärgernisse zu beseitigen. „Durch das Systems Engineering ist die Bandbreite der Probleme, die wir lösen können, extrem groß“, sagt Krob, „und das ist hochinteressant.“

Dieser Artikel von Tony Velocci entstand unter Mitwirkung von Laura Wilber und erschien zuerst im Compass Magazin.

Narayan is Chief Operations Officer at satsearch, chiefly responsible for helping buyers find the right products and services for their mission or service through the global marketplace. Narayan holds a PhD in Supply Chain Management from the University of Erlangen-Nuremberg and previously served as an Associate Research Fellow at the European Space Policy Institute where he contributed to enhancing cooperation between Europe and India in space.