Im Automobilbau ist die Zielsetzung schon lange klar und auch in weiten Bereichen bereits Realität: Die Entwicklung neuer Produkte soll möglichst ohne reale Prototypen auskommen. Aber in der Medizintechnik?
Reden wir hier noch von „was wäre wenn…“ oder sind wir auch in diesem Bereich schon so weit? Wir ziehen einmal Parallelen. Denn der minimierte Einsatz realer Prototypen und der damit vermehrte Einsatz virtueller Modelle zur Produktentwicklung und Validierung bringt viele Vorteile, vor allem auch im Variantenmanagement und der Produktindividualisierung.
Simulation, virtuelle Welt, realer Nutzen – Alltag im Automobilbau
Im Automobilbau ist es möglich und üblich, dass Autohersteller in der Entwicklung bereits vollständig auf reale Prototypen für Crashtests verzichten und stattdessen auf virtuelle Crashtests durch physikalische Simulation setzen.
Das ist gut in vielerlei Hinsicht.
- Einerseits ist es gut für die Hersteller: Sie erhalten im Entwicklungsprozess schneller, früher und kostengünstig Aussagen über die Crasheigenschaften des aktuellen Entwicklungsstandes.
- Es ist gut für die Umwelt, denn es müssen weniger Prototypen mit dem dazu nötigen Material- und Energieeinsatz aufwendig hergestellt werden, die dann “nur” gegen die Wand gefahren werden.
- Aber vor allem ist es auch gut für alle Verkehrsteilnehmer: Die virtuellen Tests und frühzeitigen Untersuchungen erlauben weit mehr Crashuntersuchungen als mit realen Prototypen. So lassen sich detailliert Aussagen treffen und die Crashtests können auch einfach wiederholt werden, zum Beispiel mit anderen Aufprallwinkeln oder Geschwindigkeiten. Ein realer Prototyp macht das verständlicherweise ja nur einmal mit.
So lässt sich durch mehr virtuelle Versuche ein weit besseres Verständnis über die Crasheigenschaften erlangen. Und das bereits kontinuierlich während dem Entwicklungsprozess und nicht erst, wenn in späten Phasen ein vermeintlich gutes Konzept gefunden ist.
Crashtests stellen einen wichtigen Baustein für die aktive und passive Sicherheit im Straßenverkehr dar. Hier helfen der technologische Fortschritt der Rechenleistung aber eben auch die digitalen Ingenieurswerkzeuge Menschenleben zu retten und im Falle des Unfalls für mehr Sicherheit zu sorgen.
Die Technik in neue Branchen übertragen – Was kann die Medizintechnik ableiten?
Noch näher am Menschen und mit ebenfalls hohen Sicherheitsanforderungen arbeitet die Medizintechnik.Genau wie im Automobilbereich sind die Zulassungsvoraussetzungen mannigfaltig, sehr länderspezifisch und bestehen meist aus aufwendigen realen Tests und Versuchsreihen. Doch auch hier findet notwendigerweise, durch steigende Komplexitäten, sowie durch Kosten- und Zeitdruck ein Umdenken statt. Die Amerikanische Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde FDA erkennt ebenfalls die Möglichkeiten der Simulation und arbeitet an Wegen Simulation als Teil der Zulassungsverfahren anzuerkennen. Im Englischen Wortlaut liest sich dies dann wie folgt:
“In silico clinical trials use computer models and simulations to develop and evaluate devices and drugs. Modeling and simulation play a critical role in organizing diverse data sets and exploring alternate study designs. This enables safe and effective new therapeutics to advance more efficiently through the different stages of clinical trials.”
Wird dies Realität, werden in der Medizintechnik die Digitalisierung und der Einsatz neuer Technologien, wie die additive Fertigung, wesentlich vereinfacht werden. So könnten die Methoden der virtuellen Produktentwicklung dann in Zukunft auch im Zertifizierungsprozess ihre Vorteile ausspielen. Was heißt das für die Patienten? Das lässt sich beispielsweise im Bereich Implantate recht gut verdeutlichen: Heute müssen die verschiedenen Varianten eines neu entwickelten Implantats zeitaufwendige Langzeitlebensdauertests auf dem Prüfstand durchlaufen. Entsprechend verlangen Neuzulassungen vorab ein großes Investment und die Anzahl der Varianten wird auf das nötige Minimum reduziert. Allerdings bewegt sich die Medizintechnik in Richtung “minimalinvasiver” angepasster, “personalisierter Medizin”. Und trotzdem muss und soll der Sicherheitsgedanke weiterhin an erster Stelle stehen. Der reale Mensch soll nicht als Versuchsobjekt herhalten, wenn Medizinprodukte schneller und kostengünstiger auf den Markt gebracht werden. Dem virtuellen Menschen im Computer ist dies hingegen egal.
Daraus haben sich neue Ideen und Geschäftsmodelle entwickelt, so zum Beispiel “Digital Orthopaedics“, die im Sinne personalisierter Medizin Lösungen zur Planung und Durchführung von orthopädischen Operationen bieten. Dabei arbeiten Ingenieure und Mediziner im Team zusammen, um mit personalisierten digitalen Fußmodellen die besten Behandlungsmethoden zu bestimmen.
In unseren Workshops “Orthopädie Digital” werden die Möglichkeiten der virtuellen Ingenieurswerkzeuge im Entwicklungsprozess patientenspezifischer Validierungen und individueller Patientenlösungen erlebbar.
Egal, ob für ein Implantat oder einen individuell angepassten Sportschuh, Personalisierung beginnt beim Menschen. Jeder Mensch ist individuell verschieden, sodass zuerst seine für die Anwendung relevanten individuellen Merkmale erfasst werden müssen. Je nach Anwendung bieten sich dazu unterschiedliche 3D Scan Verfahren an. Dabei entstehen in verschiedenen Datenformaten in der Regel Punktewolken. Diese Punktewolken werden dann mit den passenden Werkzeugen in ein CAD Format überführt.
Zum Vorteil des Patienten lässt sich ein Implantat damit virtuell am Patienten einbauen, sein Langzeitbewegungsverhalten simulieren und es können bereits vor der Operation Aussagen über den medizinischen Erfolg und das Langzeitverhalten getroffen werden. Ebenso ist es möglich so festzustellen, dass für diesen Patienten eigentlich ein anderes Implantatmodell die bessere Wahl wäre. Das lässt Zeit und Raum zu handeln.
Wenn Sie zu den Läufern in der Gesellschaft gehören, haben Sie bestimmt schon einmal von einem personalisierten Laufschuh geträumt der nicht nur eine individuelle Farbe bekommt, sondern perfekt auf ihren Bewegungsapparat abgestimmt ist? Das Prinzip greift auch hier. Die Individualisierung beginnt bei der Bewegungsanalyse des Läufers, aus der dann das Modell des virtuellen Läufers entsteht. So kann die beste Laufunterstützung durch Simulation des Laufverhaltens mit den verschiedenen Schuhmodellen und Personalisierungsmöglichkeiten gefunden werden.
Am 8. November 2018 stellt der nächste “Orthopädie Digital” Workshop, den wir gemeinsam mit unserem Technologiepartner für 3D Image Processing SYNOPSYS Simpleware in München veranstalten die Lösungen einmal vor. Vom 3D-Scan, über CAD, Simulation und den daraus gewonnenen cleveren Ingenieursentscheidungen hin zu Praxisbeispielen und der Möglichkeit die Lösungen selbst auszuprobieren ist alles dabei. Die Anmeldung zum Workshop ist übrigens ab sofort möglich.