Es mag mutig sein, das Einkaufserlebnis der 1950er und 60er Jahre in den Kontext des ‚Digital Thread ‘ von heute zu setzen, aber der Vergleich von damals zu heute liegt dem Thema näher als es auf den ersten Blick scheinen mag.
Im Detail: Wie sah der analoge Einkaufsprozess seiner Zeit aus? Das Liefern von Ware direkt zum Kunden war, wie beispielsweise bei Milch oder Backwaren, nicht unüblich. Der kleine Lebensmittelhändler um die Ecke hatte oft zu 80%-90% genau die Ware an genau dem Ort an dem er sie benötigte, die personalisierte Kommunikation fand zwischen Kunde und Händler ganz direkt und persönlich statt. Der moderne Ratenkredit war das gute alte „Anschreiben“. Der Händler konnte für seinen Kunden personalisierte Angebote erstellen, weil er ihn persönlich kannte. Sortimente und Preise wurden den Marktgegebenheiten und der Kundenstruktur nach angepasst, was durch die genaue Kenntnis der Gegebenheiten für den lokalen Händler gar kein Problem war. Das ‚big oder vielmehr smart Data‘ dieser Zeit war das menschliche Gehirn in Verbindung mit einem Notitzbuch.
Ähnlich lassen sich spätere Prozesse aus der Zeit der ersten Selbstbedienungsläden und der Discounter mit dem Onlineshopping von heute vergleichen. Ware wurde „ab Lager“ direkt von der Palette geliefert. Der Preis gewann gegenüber der Warenpräsentation die Oberhand und der Newsletter seiner Zeit war lediglich analog.
Der verpasste Transfer von Daten aus der analogen Welt
Das brachte gewaltige Umwälzungen der Arbeitsmethoden und Marktstrukturen mit sich, aus denen sich allerdings für digitale Konzepte einiges lernen lässt. So wurde der Kunde zunächst zum anonymen Abholder der Ware. Die Durchlaufzeit an der Kasse wurde zum Taktgeber, das Personal im Lebensmittelhandel mehr zum Warenverräumer, Lageristen und Kassierer, denn zum Kundenbetreuer und Data Analyst. Die Logistik erforderte neue Konzepte, der Handel verschob sich auf die grüne Wiese. Viele Fachgeschäfte konnten diesem Druck der Supermärkte nicht mehr standhalten und mussten schließen. Was damals fehlte war vor allem Transparenz und die Möglichkeit auf Prognosen zu den Auswirkungen der Marktverschiebung zuzugreifen. Und damit fehlte auch die Möglichkeit für viele Händler neue Konzepte zu entwickeln, um dem Wandel zu begegnen.
Insgesamt lässt sich sagen, das nicht nur der Händler vor Ort ein Problem hatte, auch die Branche selbst zog zunächst nicht nur Gewinn aus dem Wandel. Denn das analoge Wissen über den Kunden musste später mühsam in Shopper Studien und in Kombination über Loyalty Programme wieder neu gewonnen werden. Die persönliche Beziehung zum Kunden ging vorübergehend verloren, die optimale Warensteuerung basierte somit auf vergangenen Abverkäufen gemischt mit anderen, sich erst langsam verbessernden Prognoseverfahren sowie Analysen von Massendaten und endet erst heute wieder in der filialbezogenen Planogrammierung. Vieles, was in den kleinen Nahversorgungskonzepten der 50er und 60er Jahre gelebt wurde und die persönliche Beziehung zwischen Händler und Kunden dominierte ging den Händlern und der Branche vorübergehend verloren und musste als neues digitales Wissen erst wieder generiert werden.
Wo bleibt der Kunde?
Das Kunden- oder Shoppingerlebnis rückte erst in den vergangenen paar Jahren als Instrument zur Wettbewerbsabgrenzung wieder stärker in den Fokus. Dieses Konzept der „ansprechenden“ Shopping Experience kam dann aus den USA wieder zu uns nach Europa zurück. Ein Beispiel dafür war Whole Foods als ein Markt des Erlebens mit allen Sinnen. Keine Spur von Paletten-Feeling sondern Frischwarenpräsentation fürs Auge; die Möglichkeit zum Probieren und Testen für den Geschmacksinn und musikalische Untermalung passend zum Angebot runden hier ein neues Einkaufserlebnis ab. Das Konzept ist nun wieder in der hiesigen Handelslandschaft angekommen und auch die Discounter haben längst verstanden, dass „von der Palette“ zu verkaufen nicht alles ist.
Komplett ist der Umschwung allerdings noch nicht gelungen. Denn auch der traditionelle stationäre Handel kämpft noch mit teilweise stagnierenden Umsätzen, zu wenig verfügbaren Daten zu den Kunden und deren Einkaufsverhalten und damit auch mit der Anpassung des Angebots an die Erwartungen der Shopper von heute. Sind wieder also doch wieder auf dem Weg in die Methoden, die vor einem halben Jahrhundert in analoger Form gelebt wurden? Damals waren die Daten vielleicht nicht so skalierbar, wie es in der heutigen Zeit von Nöten ist, aber die Anforderungen einer persönlichen Beziehung zwischen Händler und Kunde sind wieder so aktuell wie nie zuvor.
Die Kundenzufriedenheit steht ganz oben auf der Liste der Händler, denn der Kunde verlangt, dass man Ihn versteht, dass man ihm SEIN Produkt zur Verfügung stellt und zwar wann ER es benötigt. Dazu soll das noch in einem perfekten Einkaufserlebnis in Verbindung mit Effizienz und Bequemlichkeit geschehen und zwar Offline und Online. Der Kunde wird so zum OMNI präsenten Unikum auf allen Kanälen. Keine leichte Aufgabe für den Handel.
Was können also die Effekte der Digitalisierung für die Tante Emma der Zukunft tun?
Jetzt gilt es die Erkenntnisse mitzunehmen und in Handlungskonzepte zu übertragen. Einiges hat sich bereits bewegt, andere Dinge sind noch Zukunftsmusik. Hier einige Ideen und mögliche Vorteile:
Handzettel und Werbebeilagen könnten und werden wohl zunehmend verschwinden. Dieser Trend zeichnet sich ja bereits ab. Gezielte Werbung erfolgt dann eher auf einem digitalen, dem Kunden angepassten Kommunikationskanal. Die positiven Auswirkungen davon für den Kunden dürften auf jeden Fall weniger Altpapier und damit ein Nachhaltikeitseffekt auch für die Umwelt sein. Der Handel kann seine Kommunikation besser anpassen und mehr und mehr zum one2one Marketing übergehen, so kann er dem Konsumenten Angebote machen, die diesen auch wirklich interessieren statt als Spam empfunden zu werden.
Chatbots begnen uns bereits immer häufiger – als immer verfügbare Berater aus der Cloud können sie, gemeinsam mit per künstlicher Intelligenz individualisierter Angebote bei der Auswahl eines Produktes helfen. Das hat neben dem beschriebenen Effekt auf die Kunden auch einen Effekt auf die Arbeitswelt im Handel. Denn diese smarten Tools wollen programmiert und gemanagt werden. So entstehen wieder neue interessante Aufgaben im Kontext Handel und Vermarktung.
Auch die Flächen im Handel können per smarter Technologie stärker nach Produktivität ausgerichtet und der Weg durch den Store optimiert werden. Und auch das dürfte zwei Ziele gleichzeitig verfolgen, das bessere Einkaufserlebnis für den Kunden, aber auch die Optimierung der Summe auf dem Bon für den Händler. Und zwar Omni-Channel.
Ein ganzheitlicher Blick auf die Daten und bessere Analytics-Methoden könnten Sortimente, Bedarfe, Belieferungszyklen und Preise optimieren und durch Algorithmen und künstliche Intelligenz bessere Planung und Steuerung ermöglicht werden. Ohne ‘Smart Data’ wird es jedenfalls nicht mehr gehen. Positiver Effekt für den Kunden dabei wären angereicherte Information zu Produkten und Ihrer Verfügbarkeit nicht nur direkt am Point of Sale sondern entlang der gesamten Shopper Journey.
Der Handel muss sich also immer wieder neu aufstellen und mit Innovation am Markt punkten. Das e-Book von Tech Clarity „Digital Thread“ greift diese Kluft zwischen aktuellem Prozess und Innovation nochmals auf. Lesenswert, finde ich.
Und in Sachen Prozess und Logistik selbst? Im Lösungsportfolio von Dassault Systèmes bietet Quintiq die Chance, Kosten zu sparen und Supply Chain Prozesse zu optimieren – statt an den Mitarbeitern oder gar dem Kundenerlebnis zu sparen. Denn fest steht, der Wettbewerb wird weiter eng bleiben und die Konsumenten wollen auf ein großes Warenportfolio, das sich stärker an individuelle Bedürfnisse wie beispielsweise vegane oder glutenfreie Ernährung oder schlicht saisonale Ereignisse anpasst nicht verzichten. Wer in Zukunft im Einzelhandel die Nase vorn haben will muss in seinen Prozessen über die gesamte Lieferkette perfekt organisiert sein, das ist aber ohne einheitliche Datenbasis und gute digitale Vernetzung der einzelnen Stationen kaum zu schaffen.